Heute bin ich sehr müde und ich würde mich gerne in die Arme eines anderen Menschen fallen lassen.
Ich würde gerne das Erlebte, mit einem anderen teilen und meine Empfindungen nicht alleine durch diesen Raum tragen müssen.
Heute würde ich gerne das Gefühl haben, ich könnte mich zwischen hunderten Kuchensorten entscheiden, weil mich Kuchen immer so glücklich macht. Er ist so süß und löst Serotonin aus.
Heute fühle ich mich einfach geschmacklos, so könnte man das auch beschreiben. Deswegen versuche ich mir etwas im Außen zu holen, was mir den Geschmack im Inneren wieder hervorholt. Doch manchmal müssen wir mit der Leere sitzen. Manchmal müssen wir genau das empfinden, was gerade bei uns ist.
Wir müssen das erleben, was uns sonst wie Zucker fühlen lässt und am heutigen Tag, wie ein leeres Glas Kakaopulver, das seit Wochen nicht mehr aufgefüllt worden ist und man sich so sehnlichst nach dem Geschmack einer heißen Schokolade sehnt.
Die Musik spielt neben meinem Ohr und sie klingt wie die Oper, die ich von ganz weit oben aus der Loge beobachte, doch nie den zarten Klang der Geige oder des Cellos je selbst spielen werde. Ich erlebe sie immer nur, wie sie durch mein gesamtes Wesen fließen, doch nie werde ich die Finger dazu besitzen, um dieselben Töne von mir zu geben.
Es fühlt sich so an, als würden meine Hände nach etwas greifen wollen, wofür sie keine Fähigkeiten besitzen. Ich sehe mir meine Finger an. Die Handinnenseite öffnet sich mir und ich sehe die feinen Linien, die wie ein spitzes, halbes Blatt verlaufen und sich miteinander kreuzen. Es ist die Lebens- und Kopflinie. Die Herzlinie ist verzweigt und besitzt einige Kringel. In manchen Esoterikbüchern sagt man dazu, dass es sich um ein verzwicktes Schicksal handele. Ist das bei mir so?
Erlebe ich gerade schon die Verzwickung? Ich weiß es nicht.
Die Melodie summt neben meinem Ohr weiter und ich lausche dem Sänger, der mit kräftiger Stimme seine Worte aus der Seele herausschreit. Er lebt sie voll und ganz, in dem Moment, in dem er sie spricht. Als gäbe es nichts anderes auf dieser Welt, als das Empfinden, was er mit sich trägt, während er diese Worte von sich gibt.
Manchmal fühle ich mich genau so, wenn ich schreibe und dann auch wieder nicht, weil ich weiß, dass es noch viel mehr da draußen gibt, als diesen einen Moment.
Es gibt den Moment danach und danach und danach. Jeder Moment danach bringt etwas Neues.
Ein neues Leben.
Welches Leben ist jetzt gerade entstanden? Jetzt gerade, wo ich hier so neben meiner Musikanlage sitze und die Stimme des Mannes höre, der mit Leidenschaft über sein Leben singt und ich hier, mit meiner Nostalgie über mein Leben schreibe und darin total versinke. Nehme ich mich selbst mit, in diese ewige Schleife der Gelassenheit und zugleich der trägen Schwere, die die Nostalgie mit sich bringt?
Ich würde jetzt so gerne in einem Fluss oder einem See schwimmen gehen. So wie ich es im letzten Sommer getan habe, als ich noch nicht aus Berlin wieder hierhin gekehrt bin und mich mit den Dingen beschäftigen musste, die jetzt auf dem Teppich stehen. Ja, genau diese Dinge.
Ich würde so gerne meine Arme im kalten Wasser der Spree oder der Krummen Lanke kreisen und die Tropfen auf meiner Haut spüren. Meine Haare, die sich wie ein Wedel um meinen Nacken ausbreiten, obwohl meine Haare nun kürzer sind, als im letzten Sommer. Ich würde mich gerne auf meinem Rücken treiben lassen, die Augen schließen und mich für einen Moment fallen lassen, weil ich weiß, dass mich das Wasser trägt. Es trägt mich immer. Im Wasser fühle ich mich so schwerelos, weil mich nichts der Dinge hält, die mir normalerweise rasende Gedanken in den Kopf setzen. Nein, in diesen Moment gibt es da nur das Leben, mich und das Wasser und erstaunlicherweise sind diese Dinge alle ziemlich still, wenn ich sie so erlebe.
Das Wasser, ich vermisse es sehr.
Heute ist das Leben, wie es heute ist. Es gibt keinen Weg drumherum, das Leben verändern zu wollen, wenn es bereits in deinen Körper gedrungen ist. Der einzige Weg, es wieder aus dir herauszuholen, ist in dem du es zulässt. Indem du das, was dort ist, spürst und das in voller Intensität und Tiefe.
Ich wünsche mir, mit mir selbst in tiefer Verbundenheit zu sein und das mit jemand anderem zu teilen. Ich wünsche mir, gehalten zu werden in dem, was ich in diesem Moment spüre.
„Lass es zu, Maya. Lass es zu.“, flüstert mir eine Stimme.
©Maya Rosch