Australien - Mein zweites Zuhause

Veröffentlicht am 12. Januar 2024 um 23:00

Zig Zag Scenic Drive, Perth

Ich weiß noch, dass ich mit keinerlei Tränen in den Augen zur Security lief und meine Eltern im Hintergrund des Flughafens verschwammen. Vielleicht hatte ich sie weggedrückt, die Tränen.

 

Es war der Tag, an dem ich endlich gehen konnte, weil ich mir ein one-way Ticket nach Australien gekauft hatte und ich hoffte, nie wieder zurückzukommen.

 

Perth hieß die Stadt, in der ich vorerst leben würde, was danach käme, wusste ich noch nicht.
Während Freunde von mir schon die Ostküste bereist hatten und sich das populäre Sydney ansahen, zog es mich in die 1,9-Millionen Stadt im Westen Australiens. Später würde man mir einmal sagen: "Perth ist OK."
Für Backpacker nicht das ultimative Reiseziel, viel eher die letzte Station vor dem Heimflug.

 

Ich hatte über eine Au-Pair Webseite eine Host-family gefunden und mit ihr vereinbart, für sechs Monate bei ihnen zu bleiben. Für den Beginn war das überhaupt nicht schlecht, denn ich wollte dort leben, nicht nur reisen. 

Mein Plan war es, an einem fremden Ort neu anzufangen. Ein Zuhause, eine Community und sonstige Dinge, die mir gefallen würden, als mein neues Ich zu entdecken. Wer dieses Ich war, musste ich allerdings noch herausfinden. 

 

Im Januar 2020, hieß mich die australische Familie willkommen und zeigte mir mein Zuhause, in dem ich die nächsten Wochen und Monate ein und aus gehen würde. 

 

Wer sich Australien voll mit giftigen Spinnen, Schlangen oder gruseligen Krokodilen vorstellt, liegt leider bei den typischen Clichés, die auf das Land projiziert werden.

Mir selbst sind nur Kängurus begegnet und hin und wieder gab es mal eine Kakerlake, die an der Wand entlang krabbelte. Nichts Giftiges dabei. 

 

Warm war es - während Deutschland in Minusgraden stand und mir die Schneebilder zugeschickt worden sind, war bei mir absolute Hitze und Sonnenschein angesagt. 40 Grad im Januar. 

 

Ich erinnere mich, wie ich an solch einem sonnigen Tag meinen ersten Strand in Australien besucht habe, nämlich den City Beach, der circa zehn Kilometer außerhalb Perth CBD liegt. Die Suburbs, in denen ich anfangs und auch überwiegend später lebte, waren Maylands und Bayswater.

Perth hatte sich von Beginn an in mein Herz geschlossen, weil es der Ort war, an dem ich keine Angst davor hatte, bedingungslos Ich zu sein. 

Nicht nur, weil mir plötzlich eine neue Kultur entgegenkam, sondern auch, weil ich den Glauben in mir trug, dass mir die Vergangenheit nicht bis auf die andere Seite der Welt folgen würde. Die Vergangenheit, die ich in Deutschland zurückgelassen hatte. 

 

Somit lebte ich das, was mir meines Empfindens nach, Deutschland enthalten hatte.

Ich ging auf riesengroße Partys, lernte die unterschiedlichsten Menschen kennen, besuchte Veranstaltungen, verbrachte ganze Tage am Strand und auf Roadtrips, hieß neue Backpacker in die Gruppe willkommen, ging mit Typen aus, die surften und lebte in jeden Tag hinein, ohne auch nur an einem Zukunfts-Plan festzuhalten. Alles, was ich wollte, war es im Moment zu sein und das Hier und Jetzt zu genießen.

Irgendwo im Outback beim Campen

Freundschaften

Was mir in Deutschland gefehlt hatte, waren die Freunde. 
Die, mit denen ich am engsten stand, lebten in einer fernen Stadt oder gar in einem anderen Land.
Es fiel mir schwer soziale Kontakte zu knüpfen, aufgrund meiner Vergangenheit, in der ich traumatische Erlebnisse innerhalb sozialen Gruppen erlebte.

 

In Australien war das anders. Niemand wusste von dem Leben, das ich zurückgelassen hatte und lernte mich als die Maya kennen, die ich seit meiner Ankunft in Perth war. 

Viele meiner Freunde*innen kamen von überall aus der Welt. Einige aus Kanada, den Staaten, Südkorea, den Niederlanden, Finnland, die Schweiz, Frankreich, anderen europäischen Ländern oder auch aus Deutschland. Ein bunter Mix sammelte sich als meine neue Gemeinschaftsgruppe an und ich war so glücklich wie lange nicht mehr.

Täglich berichtete ich meinen Eltern davon, wie großartig das Leben sei und dass ich wirklich noch nie so ein Glück gespürt habe, wie ich es zu diesem Zeitpunkt erleben würde. 

 

Man muss dazu sagen, dass es mir in Deutschland sehr schlecht ging. Nach einer über Jahre entwickelten Depression stand ich vor dem Versuch, mein Leben frühzeitig enden zu lassen, was schlicht und ergreifend mein letzter Anhaltspunkt war, bis mir Australien in den Sinn kam. 

Die endlosen Möglichkeiten und die Gastfreundschaft

Australien ist ein Land mit vielen Zuwanderern, die sich über die Jahre angesiedelt und entschlossen haben, zu bleiben.
Ich begegnete einigen Menschen, die einst als Backpacker das Land entdecken wollten und schließlich ihren Ort des Zuhauses für sich fanden. Eine damalige Freundin war ziemlich zeitgleich an die Ostküste gereist, um sich die Gegend erst einmal anzusehen und inzwischen wohnt sie noch immer dort. Auch viele meiner damaligen Freunde*innen, denen ich damals als Au-Pairs begegnet bin, leben noch heute auf diesem Kontinent. 

 

Über die Jahre, musste ich immer wieder meinen Wohnort wechseln und konnte von ein paar Tagen bis hin zu einigen Wochen, Zuflucht bei Einheimischen finden. Bei Facebook gibt es eine Gruppe, die sich "Adopt a Backpacker" nennt, in der Locals ihr Zuhause an Backpacker auf Kosten von Mithilfe im und außerhalb des Hauses, anbieten. Manchmal hilft man auch, in dem man auf die Kinder oder Tiere aufpasst. Für all das bekommt man eine kostenlose Unterkunft.

Oftmals bieten die Gastgeber auch ihr Essen an, denn gekocht wird sowieso.  In diesen Zeiten, zu dem auch COVID sich im Rest der Welt verbreitete und glücklicherweise Perth ziemlich verschont ließ, rückten die Menschen umso mehr zusammen und halfen einander. Positive und bedeutsame Erfahrungsberichte wurden in dieser Gruppe gesammelt. 

 

Ich durfte Shannon begegnen, der mit seiner Tochter und dessen Freund zusammen in einem Vorort von Perth lebte. Weil es nicht viel zu tun gab, durfte ich trotzdem für zwei Wochen ein freies Zimmer in seinem Haus belegen und konnte mich beim gemeinsamen Kochen und bei abendlichen Gesprächen beim Lagerfeuer beteiligen. 
Shannon hatte bereits einige Backpacker zuvor bei sich aufgenommen und würde dies auch später fortsetzen. Zwei tolle Wochen, die ich immer mit mir tragen werde!

Roadtrip in Margaret River

Meine große Liebe

Ich würde sagen, dass Australien meine große Liebe war. 

Diese Liebe, bei der man nicht viel denken muss, man einfach so herumschwirrt und sich das Leben ansieht, man die verschiedensten Erfahrungen macht, dabei unzähligen Menschen begegnet und man gleichzeitig, ein starkes Gefühl von Freiheit verspürt. Es ist nicht auf ewig und doch für eine kurze Zeit für immer!

 

Was mich wohl am meisten geprägt hatte, war die Tatsache, dass die meisten Leute einfach in den Tag hineinlebten, ohne sich große Sorgen über das Später zu machen. Möglicherweise lag dies unter anderem daran, dass mir genau die Personen über den Weg liefen, die genau solch einen Lifestyle suchten, dennoch würde ich sagen, dass das Leben in Down Under relativ entspannt, mit Gelassenheit und einem positiven Blick betrachtet wird.

 

Die Sonne holt die meisten Menschen nach draußen, weswegen immer etwas los ist und man ständig die Gelegenheit hat, mit dabei zu sein.

 

Falls man etwas mehr Ruhe braucht, findet man diese in der endlichen Weite der Natur und auch am Meer, lässt es sich gut vom Leben in der Stadt abschalten. 

 

Später, nachdem meine Au-Pair Zeit schon lange vorbei war und ich bei mehreren Familien gearbeitet hatte, studierte ich an einem College Visual Arts und verdiente mir zusätzlich etwas Geld in einem Café. 

Gegen Ende meiner Reise kehrte mehr Gelassenheit und Stille in mein Leben, womöglich, weil auch die vielen Partys und das Gefühl, in einer neuen Stadt ausgesetzt zu sein, irgendwann ihre Phasen zu neuen Erlebnissen und Kapiteln, die nun wichtiger waren, umgewandelt hatten. 

 

Ich begegnete meinem ersten richtigen Freund, mit dem ich bis heute, trotz unserer Trennung vor drei Jahren, noch immer regelmäßig in Kontakt stehe und nach wie vor eine tiefe Verbindung teile.


Wie es unvermeidlich vorzusehen war, holte mich die Vergangenheit doch ein. 

 

Man kann so weit weglaufen wie man möchte, vor sich selbst wegrennen, kann man nicht.

 

Ich kehrte zurück nach Deutschland, um mich dem zu stellen, wovor ich einst weggelaufen war.
Um zumindest ein paar der Schatten der Vergangenheit noch etwas hinauszuzögern, zog ich vorerst nach Berlin, um das Land meiner Herkunft von einer neuen Perspektive kennenzulernen. 

Alles Gute und viel Liebe,

Maya xx 

 

P.S.: Ich merke erst jetzt, dass ich diesen Blog-Post genau vier Jahre, nachdem ich am Flughafen in Perth angekommen bin, schreibe. (12.01.2020)

In einem Garten in Perth.

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