Woraus besteht das illusionäre Selbst und warum ist die Außenwelt eine Manifestation unseres Ichs?

Veröffentlicht am 11. August 2024 um 11:00

Wenn wir unsere Schattenteile anblicken, bemerken wir, dass sie überwiegend mit Schutzmechanismen bedeckt sind. Schattenteile sind die Aspekte unseres Selbst, mit denen wir uns nicht oft und auch nicht gerne beschäftigen. Sie ruhen meistens in der hintersten Ecke des Unterbewusstseins und tragen eine schwere, verschlossene Tür vor sich.


Es sind Persönlichkeitsanteile, die von uns zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben unterdrückt worden sind.

 

Der Grund, weswegen wir Teile unseres Selbst in erster Linie verstecken, liegt meistens darin, dass wir mit ihnen auf irgendeine Weise Ausgrenzung erlebt haben.
Vielleicht äußerten wir einen bestimmten Aspekt unserer Persönlichkeit und unser Umfeld reagierte daraufhin mit Zorn oder Verurteilung. Solche Erlebnisse werden vom Gehirn gespeichert und erneut hervorgerufen, sobald sich der innere Teil erneut zeigt. Das Gehirn fängt damit an, den Anteil mit der jeweiligen Erfahrung zu assoziieren.

 

Genauso kann dies mit Persönlichkeitsmerkmalen geschehen, die von unserem Umfeld als positiv wahrgenommen werden. Vielleicht freut sich die Familie jedes Mal ganz herzlich, wenn man ihnen etwas lustiges Erzählt und um diese äußere Anerkennung und Bestätigung erneut zu erleben, versuchen wir bewusst oder auch unbewusst immer wieder diese Verhaltensweise hervorzubringen.

 

Letztlich wird im Gehirn gespeichert: Wenn ich so bin, erlebe ich Liebe und Anerkennung und wenn ich so bin, erlebe ich Abstoßung.

 

Das, was uns von den anderen Ausgrenzt, versuchen wir zu vermeiden, selbst wenn es sich dabei um einen wesentlichen Anteil unserer wahren Natur handelt. Vor allem, wenn wir uns noch in der körperlichen- und geistlichen Entwicklungsphase befinden, kann es dazu kommen, dass all das unbewusst passiert. Auch unser Umfeld trägt nicht immer das Bewusstsein für diese Prozesse.

 

Durch diese Erfahrungen, wie wir von unseren Mitmenschen und der Gesellschaft angenommen werden, formt sich unsere Persönlichkeit - unser alltägliches Ich.

 

Wie kommt es, dass es ein illusionäres Selbst gibt?

 

Das illusionäre Selbst resultiert durch die Glaubenssätze und Konzepte, die wir für die Definition unseres Ichs nehmen. Die Wahrheit unseres Ichs bleibt dabei unentdeckt und besteht aus dem, was immer ist. Das, was nicht verändert und unantastbar ist.


Jener Glaubenssatz und jene Konzepte, egal ob positiv oder negativ, können transformiert werden. So sind beispielsweise Persönlichkeitsstrukturen, die aus Schutzmechanismen bestehen, Teile des illusionären Selbst. Nutzen wir beispielsweise jedes Mal Wut und Abwehr, sobald uns jemand emotional zu nahe kommt, identifizieren wir uns mit diesen Verhaltensmechanismen. Wir glauben, dass sie unser Ich ausmachen. Besitzen wir zum Beispiel wenig Selbstvertrauen, entscheiden uns deswegen oftmals gegen Aufgaben, die Mut benötigen und nehmen uns als schwach und unfähig wahr, stufen wir unser Selbstbild genau damit ein.

Wir erkennen nicht, dass wir aus Gefühlen, Emotionen, Empfindungen und Denkweisen heraushandeln und sie unserem wahren Ich gleichstellen.

 

Unser Verstand lebt von Wiederholung und fürchtet Ungewissheit

 

Wie wir bereits in der Entwicklungstheorie festgestellt haben, lernt der Mensch durch Ausprobieren, wiederholen und Erkenntnis. So hat der frühe Mensch festgestellt, dass beim Anfassen von Feuer, seine Hand schmerzliche Verbrennungen erleidet. Vielleicht hat dieser, die Feststellung erst beim zweiten oder dritten Mal gemacht und davor immer mal wieder kurz die leuchtenden Flammen mit der Fingerspitze berührt. Da hat er noch keine großen Schmerzen empfunden, war sich jedoch noch nicht ganz sicher, wie sich dieses lebendige Element anfühlt und ob es eine Gefahr darstellt.

 

Der Mensch besteht aus einem Gehirn, was stets das Wissen anstrebt. Wir wollen lernen und herausfinden, wie etwas funktioniert. Schon bei unseren Vorfahren war es von Bedeutung, zu wissen, ob es sich bei einem Tier um den Feind und Freund handelt. Ungewissheit hat nicht weitergeholfen. Durch die Evolution hat sich der Verstand so weit entwickelt, dass er durch Wissen zu mehr kommt. Im Grunde genommen ist das auch erst einmal nicht zu verwerfen, sondern etwas wirklich Hilfreiches. Inzwischen ist bei uns Bildung einer der obersten Prioritäten, was vor nicht einmal einem Jahrhundert leider nicht jedem gestattet war. Wissen ist bleibt dennoch ein nützliches Instrument.  

 

Der Verstand sucht dementsprechend durchgängig nach Ahnung und Wissen. Ratlos dastehen erscheint hilflos.

 

Wie ist das mit dem Ich?

 

Die Persönlichkeitsentwicklung ist ein sehr komplexes Thema und besteht aus vielen unterschiedlichen Nennern. Feststellend ist jedoch, dass sich der Verstand durch gesammelte Erfahrungen ein Ich zusammenbaut.

 

Lebt man in einer Gesellschaft, in der man Anerkennung, sozialen Status und finanzielle Sicherheit durch das Ausüben von akademischen Berufen erstrebt, merkt sich das, das Gehirn. Es integriert diese Aspekte in die „innere Agenda“.

Wird man gelobt, sobald man eine selbstlose Tat vollbringt, wird auch das vom Gehirn abgespeichert. All diese Erfahrungen werden zu Bausteinen unserer Persönlichkeit.

 

Das Gleiche gilt für traumatische Erlebnisse.

Befinden wir uns beispielsweise in einem gewalttätigen Haushalt, in dem wir jedes Mal körperlich bestraft werden, wenn wir unsere Emotionen, Verletzlichkeit oder Schwäche zeigen, so wird auch das vom Gehirn gespeichert.

 

Das Gehirn bildet den Glaubenssatz: „Wenn ich meine Emotionen zeige, erlebe ich Schmerz.“ der mit zum Selbstbild beiträgt.

 

In uns tragen wir unser Überlebenssystem-/Modus, was jedes Mal aktiviert wird, wenn Gefahr droht. Gefahr kann vom Gehirn jederzeit eingestuft werden. Dafür muss kein hungriges Raubtier vor uns stehen. Dabei gibt es die sogenannte Kampf- oder Fluchtreaktion, sowie das Erstarren. Automatisch werden vom Gehirn und dem Körper Schutzmechanismen aufgebaut.

 

Auch die jeweiligen Trigger der Gefahr aktivieren den Überlebensmodus.

 

Speichert das Gehirn ab, dass wir beim Ausdrücken von Emotionen Gewalt erleben, versucht das Gehirn jene Situation zu vermeiden, die diese auslösen könnte.

Dadurch, dass die menschliche Natur aus Emotionen besteht, würde es sich dabei um eine sehr herausfordernde und anstrengende Aufgabe handeln, jedem Ereignis aus dem Weg zu gehen, was im Körper Emotionen auslöst. Dennoch ist es das Gehirn, was dazu „programmiert“ wurde und aktiv dagegen ansteuert.

 

Ein weiterer Glaubenssatz und Konzept entsteht: „Ich muss meine Emotionen vermeiden, nur so kann ich überleben!“ Auch dieses Mal wird das Selbstbild erneut durch die abgespeicherten Muster des Gehirns beeinflusst.

 

Häufen sich diese Schutzmechanismen und Reaktionen an und werden regelmäßig aktiviert, lassen wir von ihnen schon bald unser gesamtes Leben bestimmen. Der Glaubenssatz bezogen auf die Verhaltensmuster „Ich bin dieses Verhalten. Das ist mein Leben.“ entsteht.

 

Das Paradox mit der Wiederholung

 

Es ist ein Paradox und zugleich steckt eine simple Logik dahinter.

Nun strebt das Gehirn von Natur aus nach Sicherheit. Merkt sich das Gehirn, dass es durch das Vermeiden von Emotionen Sicherheit erzielt, anstelle Gewalt, wird es immer wieder nach Situationen suchen, die ihm die Möglichkeiten geben, diese Sicherheit zu testen.

Das Gehirn muss sich vergewissern, dass alle Schutzmechanismen jederzeit bereit zur Abwehr sind. Daraus besteht das unterbewusste Suchen von Situationen, die genau diese erbauten Schutzmechanismen hervorholen.

 

Das erbaute Ich sucht also, ohne sich darüber im Klaren zu sein, immer wieder nach Erfahrungen im Außen, die ihm in seinem Muster Bestätigung geben.

 

Und somit entsteht in der Außenwelt eine Manifestation unseres inneren Ichs.

Die Ereignisse und Menschen spiegeln genau das wider, was wir im Unterbewusstsein mit uns tragen.

 

In dem von mir genannten Beispiel kann es dann vorkommen, dass wir auf Menschen stoßen, die ebenfalls eine Tendenz dazu haben, Emotionen zu vermeiden. Dies wäre ein direkter Spiegel.

Anders kann es kommen, wenn wir mit jemanden in Kontakt treten, der damit vollkommen offen und frei umgeht und sich unser Schutzmechanismus, der das Gegenteil anstrebt, angegriffen fühlt.

Eine weitere Möglichkeit wäre, immer wieder in Situationen zu geraten, die uns dasselbe Trauma von Gewalt erleben lassen, weil insgeheim ein weiterer Aspekt in uns sitzt, der sich erhofft, dieses Mal etwas anders machen und sich somit von dem unterliegenden Schmerz befreien zu können. Vielleicht ist es aber auch der Versuch, Vergewisserung für den Glaubenssatz „Wenn ich Emotionen zeige, erlebe ich Schmerz“ zu finden, weil dies inzwischen zu unserer Natur geworden ist.

 

Feststellend ist, dass sich das Unterbewusstsein immer wieder Momente sucht, in dem unverarbeitete Aspekte der Psyche hervorgeholt werden. Oftmals ist es ein Kampf mit sich selbst, bleiben diese tief sitzenden Mechanismen unentdeckt.

 

In der Traumaarbeit, so wie der Licht- und Schattenarbeit können solche Prozesse des Unterbewusstseins aufgedeckt und zu neuen, hilfreicheren und unterstützenden Verhaltensmechanismen transformiert werden.

 

©Maya Rosch