Wir sind nicht unsere Gedanken

Veröffentlicht am 28. Februar 2024 um 21:00

Wenn wir uns mit dem Verstand identifizieren, dann erleben wir ein großes Chaos, was sich durch die Gedanken schlängelt und dessen Form benutzt, um sich bei uns einzusiedeln.

Die Identifikation mit dem Verstand verursacht das Gefühl von Ungewissheit, Ängsten und Sorgen, Frustrationen, Kontrolle oder auch Kontrollverlust, den Glauben jemand zu sein. 

 

Wenn wir uns mit dem Verstand identifizieren, dann erleben wir nicht unsere Gedanken, dann glauben wir unsere Gedanken zu sein

 

Stellen wir uns vor, ein großer Schwarm Vögel kommt auf uns zugeflogen. Im ersten Moment kann uns das ziemlich überwältigen. Die Vögel fliegen nun direkt um uns herum und wir ziehen unseren Kopf ein. Während wir uns versuchen aus dem flatternden Schwarm zu befreien sind wir voller Bewusstsein, dass wir NICHT der Vogelschwarm sind. Wir erleben lediglich das Ereignis, angegriffen zu werden. 

 

Dasselbe gilt für unsere Gedanken. Stürmen die Gedankengänge in unseren Kopf hinein, so sind nicht wir die Gedanken - wir erleben sie.

Wenn wir unser Bein gebrochen haben, dann empfinden wir sehr wahrscheinlich Schmerz. Doch wir werden nicht zum Schmerz selbst, wir empfinden diesen. Genauso ist es mit Emotionen oder jeglichen anderen Empfindungen, die wir wahrnehmen.

 

Nichts davon gehört uns oder macht unser wahres Ich aus.   

Den Drang etwas kontrollieren zu müssen

Wir befinden uns in einer hektischen Situation.

Vielleicht erleben wir Ungewissheit oder müssen auf etwas warten, dessen Antwort unser Wohlbefinden stark beeinflusst. Möglicherweise haben wir auch eine Konversation mitgehört, bei der wir gerne unsere Meinung geäußert hätten und uns nun lauter Sätze einfallen, die wir hätten sagen können. 

 

All das lässt uns keine Ruhe. Warum ist das so?
Der Verstand versucht, Kontrolle zu gewinnen. Kontrolle ist das Wichtigste, was es für den Verstand gibt. Alles muss gewiss sein und darf auf keinen Fall in das Ungewisse geraten. Jede Situation muss kontrolliert werden.


Oftmals erleben wir nicht einmal bewusst, dass wir den starken Drang verspüren, alles und jenes kontrollieren zu müssen.

 

Ein Beispiel.

Wir sitzen im Zug und sind auf dem Weg zu einer Verabredung. Entspannt schauen wir aus dem Fenster hinaus, lesen ein Buch oder hören Musik. Mitten auf der Strecke fährt der Zug auf einmal langsamer und kommt ins Rollen. Die erste Wahrnehmung wird aktiviert und schon sind wir nicht mehr ganz so stark vertieft in dem, womit wir uns noch bis vor einer Minute beschäftigt haben. 

Nun bleibt der Zug ganz stehen. 

 

Jetzt werden wir noch wachsamer. Wir schauen uns um, nehmen die Kopfhörer aus dem Ohr, um gegebenenfalls eine Durchsage vom Zugpersonal mitzubekommen.  Wir blicken zu den anderen Zuggästen, mal sehen wie die auf das Stehen bleiben des Zuges reagieren. 

 

Es vergehen fünf Minuten und der Zug steht noch immer. Jetzt fängt unser Knie an zu wippen und wir strecken unseren Hals der Fensterscheibe entgegen, um irgendetwas erkennen zu können, doch da wir nicht ganz aus dem Fenster sehen können und schon gar nicht bis nach vorn, vor die Zugspitze, bekommen wir keine Antwort darauf, was passiert sein könnte. 

 

Wir hören andere Mitreisende, die sich über die Situation unterhalten. Auf dem Handy werfen wir einen ungeduldigen Blick auf die Uhrzeit und ohne uns anzustrengen, haben wir die bereits verlorene Zeit ausgerechnet, in der wir ansonsten schneller an unserem Ziel hätten sein können. 

Erneut blicken wir aus dem Fenster und hoffen, dass gleich eine freundliche Zugbegleitung den Grund der Verzögerung nennen wird. 

 

Jetzt erfahren wir die Nachricht, dass sich unsere Zugfahrt aufgrund eines vorher fahrenden Zuges verzögert, das erzeugt ein Augenrollen und Seufzen, jedoch beruhigen wir uns dadurch etwas und lehnen uns zurück in unseren Sitz. 

 

Frage > Was für einen Unterschied macht es, nun eine Antwort für das plötzliche Anhalten des Zuges zu bekommen, anstatt keinerlei Auskunft über die Situation zu erfahren?

Beschleunigt diese Information den vorher fahrenden Zug? Bringt uns diese Information schneller zu unserer Verabredung? Wird uns die verlorene Zeit wieder zurückgeschenkt, weil wir nun wissen, warum sich die Weiterfahrt verzögert?

 

Nein, natürlich nicht. Die Verspätung des Zuges ist unvermeidlich eingetroffen und selbst wenn uns der Schaffner mit dem freundlichsten Lächeln um Verzeihung, dessen Umstände bittet, werden wir schlicht und ergreifend zu spät kommen. Es lässt sich nicht vermeiden.

 

Warum machen wir uns trotzdem Gedanken und richten plötzlich all unsere Aufmerksamkeit auf die gegebene Situation? 

 

Weil der Verstand nicht mit Ungewissheit zurechtkommt.

 

Dem Verstand geht es gut, wenn er Kontrolle über jeglichen Augenblick hat. Deswegen denkt er nach dem Aufwachen direkt über die kommenden Termine des Tages nach, um sich darauf vorzubereiten und keines Falls ungeplant in diese Momente zu geraten. Alles muss vorhergesehen werden, damit man sich nach diesen Erkenntnissen richten kann.

 

Erlebt man dann doch einmal die Ungewissheit und kann nicht ganz eindeutig einschätzen, was nun auf einen zu kommt, gerät man in Panik und der Verstand versucht jegliche Szenarios und Überlegungen in Erwägung zu ziehen, die potenziell auftreten könnten. 

 

Das kostet sehr viel Lebensenergie und ist anstrengend. 

Der Körper unterscheidet nicht zwischen einem fiktiven und realen Erlebnis

Rufen wir in unserem Gehirn die verschiedensten Szenarios hervor, wird der Körper darauf genauso reagieren, wie als befänden wir uns tatsächlich in den jeweiligen Momenten.


Stellen wir uns beispielsweise eine Situation vor, in der wir schweren Verlust erleben, so produziert der Körper die Hormone, die uns Gefühle wie Trauer, Verzweiflung oder Enttäuschung erleben lassen, auch wenn diese Situation rein gedanklich stattfindet und in keiner Weise der jetzigen Realität entspricht.

 

Das beweist auch, dass unsere Emotionen uns nicht "angetan" oder "passieren", sondern wir sie hervorholen. Es ist ein chemischer Prozess, der durch das Gehirn aktiviert wird. 

 

Entscheiden wir uns (häufig unbewusst) dazu, jegliche Momente durch den Filter dieser Emotionen oder auch Gedanken zu sehen, wird plötzlich jedes außenstehendes Ereignis zu einer Projektionsfläche. Hierbei entsteht die Identifizierung mit dem Verstand und dem Erlebten. 

Vom Ort des bloßen Seins

Was also steckt hinter den Gedanken, den Gefühlen und unserem Wahrnehmen? 

 

Die Übung, sich jedes Mal zu fragen "Woher weiß ich, dass ich diesen Gedanken (ersetzbar durch jegliche andere Empfindungen) gerade wahrnehme?" hilft ungemein, sich immer wieder zurück zu dem Ort des Bewusstseins zu begeben. 

 

Dein Verstand wird dir in einem Moment sagen: "Hör mal, wenn du jetzt nicht endlich mal anfängst Sport zu machen, dann wird das nichts mit der schlanken Figur!" und gleichzeitig im nächsten: "Ja ich habe dir gleich gesagt, dass das mit dem Sport viel zu anstrengend ist, übrigens ist um die Ecke dieses neue Restaurant, vielleicht solltest du das lieber ausprobieren." 

 

Wer ist es, der dem Verstand zuhört? DU bist das Bewusstsein, dass diesen inneren Dialog wahrnimmt.

Es existiert zu jedem Zeitpunkt, doch wenn wir uns mit dem Verstand identifizieren und glauben, dass wir unsere Gedanken und täglichen Kommentare sind, dann verlieren wir die Präsenz und befinden uns tief im Tunnel der Blindheit. 

 

Wir laufen mit einem Filter vor den Augen herum und weil der Verstand jegliche Gedanken aus bereits gesammelten Erfahrungen zieht, wird er uns in den meisten Fällen eine verzehrte Realität liefern.

Den Verstand auf gesunder Weise nutzen

Der Verstand hilft uns zum Beispiel dabei, mögliche Gefahren zu identifizieren oder uns an Geschehnisse zu erinnern, die uns lehrreiche Lektionen mitgegeben haben.

 

Machen wir einmal die Erfahrung, dass es keine gute Idee war, barfuß über eine heiße Straße im Sommer zu laufen, wissen wir, dass wir es das nächste Mal anders machen werden und uns vorher Schuhe anziehen, bevor wir die Straße überqueren. 

 

Leider zieht der Verstand dennoch viel zu schnell Schlüsse und kategorisiert jegliche Situationen in eingeordnete Schubladen. Dadurch verschließen wir uns neuen Erlebnissen und werden umso unruhiger, wenn etwas einmal nicht so, wie geplant verläuft. 

 

Selbst wenn wir den Verstand zu unserem Nutzen nehmen, sollten wir uns immer wieder zurück zum Sitz des Bewusstseins begeben und jede Situation in dem sehen, wie sie ist. Sobald der Verstand anfängt durch die Gedanken und den darauffolgenden Gefühlen zu reagieren, müssen wir uns bremsen, reflektieren und uns darüber bewusst werden, was gerade in unserem Körper passiert. 

 

Wir dürfen Reize und Empfindungen wahrnehmen.

Es geht darum, uns nicht mit ihnen zu identifizieren, unser "Ich" damit auszuschmücken und sie als einzig vollständige Wirklichkeit zu betrachten, wissend, dass wir das bloße Bewusstsein sind, das alles wahrnimmt. 

 

©Maya Rosch


Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.